Wenn die Rettung teurer wird als das Problem
„Du sollst kein gutes Geld schlechtem hinterherwerfen!“ Dieser Satz von Börsenlegende André Kostolany hat sich bei mir eingebrannt – irgendwo zwischen einem abgestürzten Dotcom-Investment und einem Glas Rotwein. Und er schoss mir sofort wieder durch den Kopf, als mir ein Private Equity Fonds eine dieser ganz besonderen Ideen präsentierte: Sanieren durch Akquirieren.
Die Geschichte lief ungefähr so: Da gab es ein Portfoliounternehmen, das einfach nicht performen wollte. Klar, das Vorzeichen vor dem Ergebnis war noch positiv, aber die Zahl dahinter? Meilenweit entfernt von dem, was man sich im Business Case ausgemalt hatte. Als ich nach den wahrscheinlichen Ursachen fragte, kam vom zuständigen Partner prompt: „Die Prozesse sind das Problem.“ Die Lösung? Stand auch schon parat. Man wollte einfach ein weiteres Unternehmen aus der Branche kaufen, eines mit funktionierenden Prozessen, diese dann übernehmen und Schwupps, läuft der Laden.
Zugegeben, Kostolanys Warnung greift hier nicht vollständig. Sein Rat zielt ja auf passive Investments ab, vor allem auf Aktienkäufe. Aber in der Situation eines Private Equity Fonds ist man alles andere als passiv. Man kannst aktiv eingreifen, Dinge bewegen. Und die vorgeschlagene Akquisition wäre genau das: eine aktive Intervention. Also lohnt es sich durchaus, die Sache gründlich zu durchleuchten, statt sie direkt vom Tisch zu wischen.
Erst das Problem verstehen…
Pauschallösungen gibt es nicht, weder das reflexartige „bloß kein Euro mehr reinpumpen“ noch das optimistische „wird schon gutgehen“. Im M&A Geschäft braucht es den scharfen Blick fürs Detail: Probleme präzise identifizieren, Ursachen konsequent aufdecken.
Was bedeutet es denn konkret, wenn etwas nicht richtig rund läuft? Fehlt der funktionierende Zugang zum Markt? Reichen Qualität von Produkten oder Services nicht aus? Liegt der Automatisierungsgrad zu niedrig, was wiederum Prozesszeiten in die Länge zieht oder Personalkosten explodieren lässt?
Ganz ehrlich: Mit „es liegt an den Prozessen“ kommt man auch nicht weit. Prozesse durchziehen die gesamte Wertschöpfungskette an den unterschiedlichsten Stellen. Welche Prozesse genau machen Probleme? Warum lassen sie sich nicht einfach anpassen? Blockiert die IT-Applikationslandschaft? Fehlt es an Digitalisierung?
Tatsächlich mangelt es manchmal schlicht an der nötigen Größe, um Skaleneffekte zu erzielen, die Wettbewerber längst für sich nutzen. Wobei selbst dann eine Akquisition keine Erfolgsgarantie bietet, wie etwa die Getir/Gorillas Transaktion vor drei Jahren eindrücklich demonstriert hat.
…dann die Lösung auswählen
Die Frage „Wie sollte das Target dann aussehen?“ ließe sich herrlich simpel beantworten: Es braucht schlicht die maßgeschneiderte Lösung für genau dieses Problem. Doch wie erkennt man die wirklich? Woher will man wissen, dass das, was das Target mitbringt, tatsächlich die passende Lösung ist, die am Ende beide Unternehmen wieder richtig zum Laufen bringt?
Nehmen wir die Vertriebsprozesse als Beispiel. Selbst wenn beide Seiten die gleichen Produkte verkaufen, garantiert das noch lange nicht, dass die Vertriebsprozesse auch in einem anderen Markt funktionieren. Und dieser andere Markt muss nicht einmal ein anderes Land sein. Man denke nur an B2B versus B2C. Und nur weil per Definition eine Zielgruppe ins B2B Schema fällt, heißt das noch lange nicht, dass alle dort wie Konzerne ticken.
Je tiefer die Lösung im Inneren der Organisation verankert liegt, desto schwieriger wird die Übertragbarkeit. Ein spannender Fall: Das Unternehmen erbringt Dienstleistungen für Konsumenten. Filialbasiert, sehr personalintensiv, kurze Interaktionszeit mit dem Kunden. Die Prozesse zur Leistungserbringung funktionieren prinzipiell gut. Qualität und Effizienz stimmen. Das Problem: Das erforderliche Service Mindset fehlt – nicht so sehr in den Filialen, aber im ganzen Rest der Organisation. Selbst durch ein perfektes Target lässt sich dieses Mindset unmöglich akquirieren. Das braucht immer einen ausdauernden Transformationsprozess.
Egal, wo der Hund begraben liegt – wer bei der Target-Auswahl nicht gleichzeitig die spätere Integration mitdenkt, der sollte sich Kostolanys Mahnung einrahmen. Die Frage ist also nicht nur, ob das Target die passende Lösung hat, sondern besonders auch: Wie lässt sich die Lösung aus dem Target übertragen?
Von Merger of Equals und Reverse Integration
Das zweite Detail aus jenem Gespräch? Der Satz: „Das ist dann ja ein Merger of Equals.“ Falsch gedacht! Die Unternehmen sind alles andere als ebenbürtig. Das eine läuft rund, das andere nur mit Aussetzern. Wer hier das Label „Merger of Equals“ aufklebt, setzt die völlig falschen Erwartungen.
Noch mal kurz die Situation: Man hat die Lösung für seine Probleme gefunden. Diese Lösung kommt in Gestalt einer Add-on Akquisition daher. Man entscheidet sich für den Akquisitionsweg. Dann wäre es geradezu absurd, so zu tun, als könnten beide Organisationen jetzt gleichberechtigt aushandeln, wie sie miteinander verschmelzen möchten.
Die Realität dreht das Spiel komplett um. Man hat es mit einer Reverse-Integration zu tun, denn das Target bringt offensichtlich die überlegenen Strukturen mit. Zugespitzt formuliert: Man integriert den Käufer ins Target hinein. Die Wertschätzung, die man in klassischen Konstellationen dem Target entgegenbringt, gebührt hier dem Käufer.
Daher die klare Empfehlung: Das Target nicht direkt durch das ursprüngliche Portfoliounternehmen akquirieren. Stattdessen die Transaktion über das Akquisitionsvehikel abwickeln. So stehen beide Unternehmen zumindest nebeneinander, und die Organisation des Targets ordnet sich nicht versehentlich unter.
Ohne ausreichend Puffer wird die Sanierung zur Zerreißprobe
Ausreichend Puffer bildet die Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Sanierung durch Akquisition. Die Ausgangslage: Das ursprüngliche Unternehmen glänzt nicht gerade durch Profitabilität. Viel zu häufig kippt eine knapp positive Ertragslage ins Minus. Dann wird die Liquidität zum Engpass, die Zeit zum knappen Gut.
Gleichzeitig tauchen immer unvorhergesehene Ereignisse auf. Diese verschlingen mindestens zusätzliche Zeit, meist auch zusätzliches Geld. Da kommt die Einführung eines wichtigen IT Systems, die weitere Migrationen nach sich zieht. Dort lassen sich die Produktionsprozesse zwar mit dem vorhandenen Maschinenpark abbilden, aber die Logistik steht plötzlich vor einer ungeplanten Herausforderung.
Rutscht man durch solche Entwicklungen in einen Sanierungsfall, muss die angestrebte Transformation zurückstehen. Das kann schnell ein oder zwei Jahre verschlingen. Unvorhergesehenes gehört zu jeder M&A Transaktion dazu, nur fallen die Auswirkungen hier deutlich schwerer ins Gewicht.
Keine Experimente in der Krise
In der Krise bleibt keine Zeit für Experimente. Das wirft die Frage nach klaren Ausschlusskriterien auf. Die Filter von der Longlist zur Shortlist sind bereits extrem eng und lassen kaum Targets durch. Die Anforderungen an ein passendes Target für die Sanierung durch Akquisition fallen knallhart aus.
Handelt es sich beim ursprünglichen Unternehmen um einen Restrukturierungsfall oder steckt es gar in akuter Insolvenzgefahr, gilt eine eiserne Regel: Finger weg von der komplexen Sanierung durch Akquisition.
Der kürzere Weg könnte der bessere sein
Manchmal führt der direkte Weg schneller ans Ziel. Wer ernsthaft erwägt, die Sanierung gleich im bestehenden Unternehmen anzupacken, sollte sich fragen: Warum nicht auch die nötige Transformation dort umsetzen? Das Risiko bleibt überschaubar, und der Kapitalbedarf fällt deutlich geringer aus.
Ohnehin muss man für die Auswahl des richtigen Übernahmekandidaten die Probleme und ihre Ursachen gründlich durchleuchten und messerscharf identifizieren. Sonst droht die Gefahr, ein Target zu wählen, das zwar hervorragend dasteht, aber am eigentlichen Problem vorbeigeht.
Sind Probleme und Ursachen erst einmal klar erkannt, liegt die Lösung fast immer auf der Hand. Und durch den Transformationsprozess muss die Organisation so oder so, auch bei der Sanierung durch Zukauf.
Mut oder Übermut?
Sanierung durch Akquisition – das klingt verlockend, ist aber alles andere als die Silver Bullet für angeschlagene Portfoliounternehmen. Wer diesen Weg einschlägt, spürt schnell den enormen Druck, der auf solch einer Transaktion lastet. Denn hier geht es nicht nur darum, dass zwei Organisationen irgendwie, irgendwo, irgendwann zusammenwachsen. Nein, das Zusammenwachsen ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass die Rochade überhaupt funktioniert.
Wer denkt, mit frischem Kapital für Transaktion und Akquisition sei es getan, unterschätzt die Sache gewaltig. Die eigentliche Herausforderung wartet nämlich danach: die Transformation des Unternehmens. Und genau hier drängt sich eine Frage geradezu auf, die man sich unbedingt ehrlich beantworten sollte: Warum steckt man nicht gleich die ganze Energie direkt in die Sanierung und Transformation des ursprünglichen Unternehmens?
Bevor man also vorprescht und womöglich doch gutes Geld dem schlechten hinterherwirft, lohnt sich ein glasklarer Blick auf die tatsächliche Situation. Erst verstehen, was wirklich los ist – dann entscheiden.



