Absolute Funkstille
„Nach dem Closing haben wir sechs Monate nichts von unserem neuen Eigentümer gehört.“ – Statt Feierlichkeiten am Day One herrschte in diesem Unternehmen endloses Warten. Seit ich diese Geschichte vor ein paar Jahren von einem CEO gehört habe, führt sie meine persönliche Liste der größten Day-One-Fauxpas mit großem Abstand an.
Der Geschäftsführer dieses Unternehmens stand vor einer enormen Herausforderung. Auf der einen Seite fehlten ihm aufgrund der absoluten Funkstille jegliche Informationen zur Vision, Strategie und zu den Zielen des neuen Eigentümers. Auf der anderen Seite musste er die Erwartungen der Mitarbeitenden erfüllen, ihnen etwas erzählen und die Stimmung aufrechterhalten. Hinzu kamen externe Stakeholder, die ebenfalls Informationen benötigten. Und als wäre das nicht genug, musste der Geschäftsbetrieb weiterlaufen – schließlich trug er auch dafür die Verantwortung.
Wie gestaltet man den Day One richtig? Was sollte man tun? Was wird erwartet? Genau mit diesen Fragen befassen wir uns in diesem Artikel.
Wann ist Day One?
Der berühmte Day One – doch wann ist er eigentlich? Im Kaufvertrag ist er selten fest terminiert. Auch das Closing, also der formale Abschluss der Transaktion, kann in der Regel nicht im Voraus festgelegt werden. Erst müssen die verschiedenen Closing Conditions erfüllt sein – dazu gehören fast immer auch Genehmigungen externer Aufsichtsbehörden. Manchmal ist dieser Prozess schnell abgeschlossen, oft zieht er sich über Wochen oder gar Monate hin.
Mit dem Closing erfolgt der wirtschaftliche und rechtliche Übergang vom Verkäufer an den Käufer. Der Käufer übernimmt die vollständige Kontrolle über das Target. Für beide Organisationen beginnt eine neue Ära. Der Day One ist der erste Tag der neuen Zeit.
Day One, ein Tag wie jeder andere?
Was macht diesen Tag so besonders? Oft fällt er auf den Ersten eines Monats, aber manchmal liegt er auch mittendrin. Zugegeben, ein Neuanfang ist immer etwas Besonderes. Aber braucht es wirklich so viel Aufmerksamkeit?
Stellen wir uns einen neuen Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag vor. Für ihn ist dieser Tag zweifellos bedeutend. Wenn es sich dabei um den neuen CEO handelt, der eine große Transformation einleiten soll, ist der Tag auch für die gesamte Belegschaft nicht mehr „wie jeder andere“.
Der neue Mitarbeiter erwartet eine Begrüßung – vielleicht keinen Blumenstrauß oder Sektempfang, aber zumindest Orientierung. Wo befindet sich sein Büro? Welche Arbeitsgeräte stehen zur Verfügung? Welche Aufgaben warten auf ihn? Er möchte schnell loslegen und die Unsicherheit aus dem Weg räumen.
Nun übertragen wir diese Situation auf eine gesamte Belegschaft – 50, 100, 500 oder gar 1000 Menschen. Ihre Erwartungen sind ähnlich: ein herzliches, ernst gemeintes Willkommen, klare Orientierung und ein Gefühl der Sicherheit. Sie stellen sich viele Fragen: Was passiert jetzt? Was bedeutet das für das Unternehmen, meine Abteilung, meinen Vorgesetzten, meine Kolleginnen und Kollegen – und für mich persönlich?
Willkommen am Day One – dem Tag der hohen Erwartungen.
Das Day One Multitool
Ich habe noch niemanden getroffen, der diese Erwartungen bewusst nicht erfüllen wollte. Den Käufer aus der Einleitung habe ich ehrlicherweise nie kennengelernt.
Es gibt kein Patentrezept, das garantiert, dass am Day One alles perfekt funktioniert. Doch es existiert ein umfangreicher Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienen kann. Dafür muss man jedoch verstehen, was den beteiligten Organisationen wichtig ist und welche Anforderungen der Post Merger Integration zusätzlich erfüllt werden müssen.
Mitarbeitende brauchen Orientierung und Sicherheit. Das bedeutet: Sie müssen informiert werden – und zwar klar, konsistent und authentisch. Dazu dient die Integration Story. Sie beantwortet zentrale Fragen. Wer sind wir (als Käufer)? Welche Strategie verfolgen wir? Wie sehen wir das Target? Welche Erfolge des Targets sind für uns wichtig? (Stichwort Wertschätzung und Anerkennung) Welche Ziele verfolgen wir mit der Akquisition? Wie sieht unsere gemeinsame Zukunft aus? Wie wollen wir die Integration gestalten?
Zugegeben, das sind eine Menge Punkte. Aber mal im Ernst, die sollten eigentlich bereits vor dem Signing feststehen. Am Day One gilt es, sie in klare und verständliche Botschaften zu verpacken.
Der Day One ist der perfekte Zeitpunkt, um die Leitlinien für die gesamte Integration zu kommunizieren. Die Botschaften müssen wohlüberlegt, einfach, verständlich und umsetzbar sein. Natürlich sollten sie regelmäßig wiederholt werden – aber gerade beim ersten Mal müssen sie sitzen.
Der Zauber des Day One
Jeder Neuanfang hat seinen eigenen Zauber. Der Day One kennzeichnet auch den Startschuss der Integration. An diesem Tag ist die Gelegenheit, das Momentum des Neuen zu nutzen, um daraus die Energie für die Transformationsphase der nächsten Monate zu erzeugen.
Zusätzlich bietet sich hier die Möglichkeit, erste Berührungspunkte zwischen den Organisationen und ihren Mitarbeitenden zu schaffen. Diese Begegnungen sind der Katalysator für das Zusammenwachsen der Teams – und damit für eine erfolgreiche Integration. Am Day One gilt es, solche Berührungspunkte bewusst zu erzeugen.
Das Welcome Paket
Kleine Geschenke erhalten nicht nur die Freundschaft, sondern erleichtern auch den Start in eine neue Unternehmensphase. Ein durchdachtes Welcome Paket ist mehr als nur Notizblock und Kugelschreiber mit dem neuen Logo – es drückt Wertschätzung aus und schafft eine Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit.
Das könnte zum Beispiel ein persönlicher Brief des neuen CEOs. Nicht zu lang, aber authentisch, mit klaren Worten – und einer handschriftlichen Unterschrift. Das macht viel Arbeit, signalisiert aber echte Wertschätzung. Wenn bereits ein Rebranding entschieden ist, können auch neue Visitenkarten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Wie gehe ich aber mit denen um, die nicht mit auf die Reise kommen? Wie kommuniziere ich das ehrlich authentisch und verträglich?
Die Q&A Seite
Eine Q&A-Seite im Intranet hilft, zentrale Botschaften zu verankern und gibt Mitarbeitenden die Möglichkeit, Informationen nachzulesen. Welche Fragen könnten sie haben? Welche Antworten lassen sich bereits geben?
Auch wenn noch nicht alle Details geklärt sind, können offene Fragen gesammelt und zu gegebener Zeit beantwortet werden. Eine zusätzliche Möglichkeit ist eine Hotline – ein E-Mail-Postfach oder ein internes Forum, an das Mitarbeitende ihre Fragen senden können. Wichtig ist, dass die Antworten zeitnah erfolgen und relevante Fragen in die Q&A aufgenommen werden.
Die gute alte Roadshow
In Zeiten von Homeoffice könnte man versucht sein, den Day One einfach virtuell abzuhalten. Der neue CEO könnte bequem aus dem Büro oder sogar vom heimischen Sofa aus eine Ansprache halten. Theoretisch möglich – praktisch aber keine gute Idee. Welche nonverbale Botschaft würde das an die neuen Mitarbeitenden senden? Sicherlich keine, die Wertschätzung oder echtes Interesse ausdrückt.
Präsenz zählt. Am Day One vor Ort zu sein und erlebbar zu sein, macht einen wesentlichen Unterschied. Es zeigt, dass der neue Eigentümer die Integration ernst nimmt und bereit ist, in persönliche Begegnungen zu investieren. Doch was tun, wenn das Target mehrere Standorte hat?
Hier hilft sicher eine Videoübertragung, damit wirklich alle Mitarbeitenden den Day One direkt miterleben. Natürlich wissen die Beschäftigten, dass sich der CEO nicht klonen kann. Aber es gibt eine Alternative. Weitere Vorstands- oder Geschäftsführungsmitglieder könnten an anderen Standorten präsent sein. Auch Führungskräfte aus der Käuferorganisation können diese Rolle übernehmen – und so wichtige persönliche Berührungspunkte schaffen.
Doch mit dem Day One allein ist es in dieser Situation nicht getan. Am Tag danach beginnt die Roadshow – eine Tour zu den weiteren Standorten. Ja, das ist anstrengend. Und ja, nach der fünften oder neunten Rede mag es sich wiederholen. Aber genau das gehört zur Aufgabe eines CEOs in der Post Merger Integration. Es gibt keine Entschuldigung dafür, diesen persönlichen Kontakt zu vernachlässigen.
Merger of Equals – eine gute Nachricht?
Ein Merger of Equals klingt zunächst nach einem fairen und ausgeglichenen Prozess. Sollte das nicht auf allen Seiten positive Reaktionen hervorrufen? Doch ist das wirklich der Fall?
Wenn zwei ebenbürtige Unternehmen zusammengeführt werden, ist keine der beiden Organisationen in Führung. Niemand gibt eindeutig den Ton an. Das bedeutet, Alles steht infrage – in beiden Unternehmen. Wer einen solchen Prozess schon einmal erlebt hat, weiß, wie viel Unsicherheit das bei den Mitarbeitenden in beiden Organisationen auslöst.
Doch wie lässt sich mit dieser Unsicherheit umgehen? Am Day One sind viele Fragen noch offen. Wie wird die künftige Organisation aussehen? Welche Abteilungen bleiben bestehen? Wer übernimmt welche Führungsrolle? Und oft ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal der Abstimmungsprozess mit dem Betriebsrat abgeschlossen.
Die Lösung ist anspruchsvoll und zugleich simpel: Ehrlichkeit und Transparenz. Wenn bestimmte Entscheidungen noch nicht getroffen oder final abgestimmt sind, sollte genau das offen kommuniziert werden. Statt vager Beruhigung hilft eine klare Ansage. Der Prozess mit dem Betriebsrat ist noch nicht abgeschlossen. Wir führen in den kommenden Tagen Gespräche und informieren euch, sobald es Neuigkeiten gibt.
Mitarbeitende erwarten nicht sofort fertige Lösungen – aber sie erwarten Verlässlichkeit in der Kommunikation. Und die beginnt mit Ehrlichkeit.
Jenseits von Kommunikation und Führung
Es gibt Situationen, die eine zusätzliche Komplexitätsstufe mit sich bringen – insbesondere dann, wenn das Target nicht mehr voll funktionsfähig ist. Das ist zum Beispiel bei einem Asset Deal mit Mitarbeiterübernahme im Rahmen einer Insolvenz oder bei einem Carve-out, bei dem wesentliche Funktionen erst neu aufgebaut werden müssen, der Fall.
In solchen Fällen stellen sich existenzielle Fragen. Wer stellt sicher, dass Löhne und Gehälter pünktlich gezahlt werden? Ist das Supply Chain Management funktionsfähig, damit Rohstoffe für die Produktion bestellt werden können?
Diese Herausforderungen müssen bereits im Vorfeld gelöst werden. Dabei steht in der Regel auch die Verkäuferseite unterstützend zur Verfügung. Doch diese Vorbereitungsphase darf nicht unterschätzt werden – hier entscheidet sich, ob der der gemeinsame Start gelingt oder im Chaos endet.
Am Day One sollte alles Wesentliche geklärt sein. Gerade in solchen Szenarien ist klare Kommunikation entscheidend, denn die Unsicherheit der Mitarbeitenden ist in diesen Fällen oft besonders groß. Natürlich wird es immer unerwartete Probleme geben. Doch entscheidend ist, dass sie schnell erkannt und konsequent – vor allem im Sinne der Mitarbeitenden – gelöst werden.
Was kommt nach dem Day One?
Nach dem Day One ist immer noch vor dem Erfolg. Die Arbeit geht weiter. Die Integration muss aktiv gesteuert und konsequent vorangetrieben werden. Dranbleiben lautet die Devise, denn nur so lässt sich der langfristige Erfolg der Transaktion sicherstellen.
Der Day One ist der erste Tag einer neuen Ära. Aber ist er auch der wichtigste? Das lässt sich heute noch nicht sagen. Sicher ist nur eines: Er ist entscheidend.
Jede Transaktion ist anders. Es gibt keine One-Size-Fits-All-Lösung für den Day One. Doch eines gilt immer:
Am Day One hören alle besonders aufmerksam zu – nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen.
In diesem Moment zählt vor allem Führung und Kommunikation.
Ich persönlich bin ein klarer Verfechter von Transparenz und Ehrlichkeit. Natürlich gibt es Situationen, in denen noch nicht alles offengelegt werden kann – etwa wenn das finale Okay des Betriebsrats noch aussteht. Doch alles, was gesagt werden kann, sollte auch gesagt werden. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch klare und verlässliche Kommunikation.