Märchenstunde mit Systemstau
Der Hase sprintet – doch der Igel sitzt bereits am Ziel. Der Hase ist nicht nur völlig außer Atem, sondern auch außer sich vor Ärger. „Mir macht das nichts“, sagt der Igel nur, „ich bin schon hier.“ So wiederholt sich das ganze Spiel dreiundsiebzigmal. Doch beim vierundsiebzigsten Mal schafft es der Hase nicht mehr bis ins Ziel.
Die Geschichte kennen wir – sie klingt zwar märchenhaft, ist aber dennoch wahr, zumindest laut den Brüdern Grimm. Es gibt zwar nur wenige Buy & Build Cases, bei denen tatsächlich 74 Add-ons integriert werden. Doch was, wenn diesmal nicht die IT der Hase ist, sondern selbst die Rolle des Igels schlüpft?
IT in Buy & Build: Der unterschätzte Engpass
In den meisten Fällen sitzt die IT nicht von Beginn an mit am Tisch, wenn im Rahmen der Due Diligence das Target analysiert wird – selbst dann nicht, wenn sie maßgeblich zur Wertschöpfung beiträgt, wie etwa im Bereich Financial Services.
Wie oft wird die IT aus Management-Präsentationen herausgehalten, weil sie kritische Fragen stellt? Weil sie nach dem Budget für die IT-Integration fragt? Weil ihre abgesicherten Migrationspläne den gesamten Deal zu verzögern drohen?
Dann kommt der Day One – und es gibt keinen Plan für die IT-Integration, kein Budget für die erforderliche Datenmigration und keine zusätzlichen Kapazitäten für den dafür notwendigen Aufwand. „Das kann warten. Ist ja nicht so dringend.“
Ein paar Monate später folgt die Ernüchterung: Die Ziele der Akquisition wurden verfehlt. Das angestrebte Cross-Selling bleibt aus. Der gegenseitige Zugriff auf Produkte und Kundendaten ist zu umständlich und zeitintensiv.
Woran liegt das? Wenn Schnittstellen schlecht oder gar nicht definiert sind, passen die Daten im Prozess nicht zusammen. Informationen müssen doppelt, dreifach – oder vierundsiebzigfach – gepflegt werden. So entsteht ein idealer Nährboden für jede Menge Schatten-IT.
Das ist nicht nur ineffizient wegen des hohen Mehrfachaufwands – von den qualitativen Einbußen ganz zu schweigen. Es ist auch ein Grund für Ineffektivität, verpasste Innovationschancen und verzögerte Produkteinführungen. Mit anderen Worten: ein Verlust an Wertschöpfung. Willkommen im Märchenwald der verlorenen Integrationschancen.
Was IT leisten könnte, wenn man sie lässt
Beginnen wir mit einem klassischen No-Brainer: Die Datenharmonisierung lässt sich bereits vor dem Closing anstoßen. Dabei müssen keine Daten ausgetauscht werden – was regulatorisch ohnehin meist untersagt ist –, aber es ist möglich, sich über Formate und Anforderungen an die Datensätze abzustimmen und die vorhandenen Informationen entsprechend vorzubereiten.
Frühzeitig zu starten bedeutet nicht nur, früher fertig zu sein, sondern im weiteren Verlauf auch weniger Doppelarbeit. Ab dem Zeitpunkt der Abstimmung können neue Daten direkt „richtig“ eingepflegt werden. So entsteht sofort mehr Kapazität für echte Wertschöpfung – etwa durch zusätzliche Cross-Selling-Aktivitäten.
Die Stimme der IT ist oft kritisch. Das ist so. Und in diesem Satz fehlt bewusst das Wort „leider“. Denn die IT trägt die Verantwortung, komplexe Prozesse digital zu unterstützen und zu automatisieren – möglichst schnell, möglichst reibungslos, möglichst fehlerfrei.
Für diesen Anspruch muss sie zwangsläufig auf Details achten. Sie braucht den Blick für Ausnahmesituationen – auch wenn diese selten auftreten. Doch früher oder später passiert es, meist ohne Vorwarnung.
Diese kritische Haltung sollte man nicht verteufeln. Die IT – in der Rolle des Advocatus Diaboli – erkennt Stolpersteine. Und wenn man sie lässt, entwickelt sie Lösungen, um diese Hindernisse rechtzeitig aus dem Weg zu räumen.
Eine IT, die ständig Feuerwehr spielen muss, ist damit beschäftigt, bereits entstandene Probleme zu beheben und hinterher aufzuräumen. Was dann oft fehlt, ist die Zeit, um in Ruhe über tragfähige Lösungen für komplexe Herausforderungen nachzudenken.
Kreative Hacks lassen sich nicht erzwingen – und schon gar nicht übers Knie brechen. Manchmal genügt es, der IT einfach eine Woche mehr Zeit und den nötigen Freiraum zu geben, um mit einer durchdachten nachhaltigen Lösung aufzuwarten. Das spart am Ende nicht nur Zeit, sondern meist auch Geld.
Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits am Day One elektronisch miteinander vernetzt sind, fördert das das Zusammenwachsen entscheidend. Jeder kann jede und jeden finden und ansprechen – über Standort- oder Unternehmensgrenzen hinweg, dank E-Mail und Videokonferenz.
Voraussetzung ist allerdings, dass Kontaktdaten leicht auffindbar sind. Muss man erst mühsam nach den E-Mail-Adressen im Target suchen, unterbleibt die Einladung zum Meeting womöglich ganz.
Ein gegenseitiger Zugriff auf die Intranets unterstützt auch die kulturelle Integration. So lassen sich Einblicke in die „Anderen“ gewinnen, Unterschiede wahrnehmen und Gemeinsamkeiten entdecken.
Die IT kann Brückenbauer zwischen Alt und Neu sein. Vieles ist möglich, wenn man sie frühzeitig einbindet – und ihr den notwendigen Freiraum gibt. Das gilt im Grunde für jede Integration.
Buy & Build braucht Built-to-Buy
Buy & Build entfaltet sein volles Potenzial nur auf einer tragfähigen Plattform. Dafür braucht es eine leistungsfähige Organisation mit effizienten, stabilen Prozessen – und das wiederum setzt ein solides IT-Fundament voraus: eine modulare, skalierbare IT-Applikationslandschaft.
Dazu gehört Vorbereitung – und vor allem ein frühzeitiges Einbinden der IT in die strategischen Überlegungen zur Buy & Build Strategie. Ist die IT nicht „built to buy“, fehlt das Fundament, auf dem alles aufbaut. Und selbst der kreativste Plattformarchitekt erschafft in diesem Fall kein belastbares Konstrukt, sondern ein fragiles Konglomerat, das früher oder später einstürzt.
Geht es dann nicht nur um „more of the same“, reichen skalierbare Prozesse allein nicht mehr aus. Umso wichtiger ist es, dass auch Modularität von Anfang an mitgedacht wird. Wie sollen KI-Agents zentrale Prozesse übernehmen, wenn die Datenbasis nicht konsistent ist? Wenn zum Beispiel in einem Unternehmen Bohrlöcher in Zentimetern angegeben werden – und im anderen in Zoll?
Eine IT, die tief in die Prozesse eingebunden ist und ein ausgeprägtes Verständnis für das Geschäft mitbringt, kann zusätzliche Synergiepotenziale erschließen – nicht nur zur Effizienzsteigerung, sondern auch für Wachstum und Innovation.
Eine „built to buy“ IT kennt ihre Applikationslandschaft wie aus der Westentasche – und hat auch die Hoheit über Anpassungen und Erweiterungen. Hätte der Igel die Karte nicht gekannt – wie hätte er dann vor dem Hasen am Ziel sein können?
Der Igel ist kein Besserwisser. Er hat einfach früher angefangen
Die IT ist nicht langsam – sie ist gründlich. Wer möchte schon, dass auf der Rechnung der falsche Mehrwertsteuersatz steht oder dass ein Kunde die falsche Lieferung erhält, nur weil beide Empfänger zufällig Meyer heißen?
Eine mögliche Lösung für die Rolle der IT in Buy & Build Projekten liegt – ganz märchenhaft – in Buxtehude. Das Märchen „Dat Wettlopen twischen den Hasen un den Swinegel up de lütje Heide bi Buxtehude“ (Brüder Grimm, 1843) liefert die Idee: Wie kann der Igel immer schon am Ziel sein?
Ganz einfach: Er ist an beiden Stellen gleichzeitig. Ein Teil der IT sorgt für den stabilen Betrieb der bestehenden Systeme („run the platform“), während ein anderer Teil die Plattform aktiv weiterentwickelt und von Anfang an in M&A-Transaktionen eingebunden ist („build & integrate the platform“).
Der regelmäßige Austausch zwischen beiden Teams ist essenziell. Nur so lernen sie voneinander und entwickeln die Plattform kontinuierlich weiter. „…und beide gingen vergnügt miteinander nach Hause: und wenn sie nicht gestorben sind …“
In Buy & Build Projekten entscheidet nicht die Geschwindigkeit des ersten Zukaufs – sondern die Konsistenz des vierten. Wer bis dahin keine belastbare Plattform aufgebaut hat, rennt zwar mit hoher Geschwindigkeit – aber eben im Kreis. Und bricht irgendwann erschöpft zusammen.
Und die IT?
Die war schon da –
wenn man sie rechtzeitig fragt.