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Integration am Day One

Integration am Day One

Absolute Funkstille

„Nach dem Closing haben wir sechs Monate nichts von unserem neuen Eigentümer gehört.“ – Statt Feierlichkeiten am Day One herrschte in diesem Unternehmen endloses Warten. Seit ich diese Geschichte vor ein paar Jahren von einem CEO gehört habe, führt sie meine persönliche Liste der größten Day-One-Fauxpas mit großem Abstand an.

Der Geschäftsführer dieses Unternehmens stand vor einer enormen Herausforderung. Auf der einen Seite fehlten ihm aufgrund der absoluten Funkstille jegliche Informationen zur Vision, Strategie und zu den Zielen des neuen Eigentümers. Auf der anderen Seite musste er die Erwartungen der Mitarbeitenden erfüllen, ihnen etwas erzählen und die Stimmung aufrechterhalten. Hinzu kamen externe Stakeholder, die ebenfalls Informationen benötigten. Und als wäre das nicht genug, musste der Geschäftsbetrieb weiterlaufen – schließlich trug er auch dafür die Verantwortung.

Wie gestaltet man den Day One richtig? Was sollte man tun? Was wird erwartet? Genau mit diesen Fragen befassen wir uns in diesem Artikel.

Wann ist Day One?

Der berühmte Day One – doch wann ist er eigentlich? Im Kaufvertrag ist er selten fest terminiert. Auch das Closing, also der formale Abschluss der Transaktion, kann in der Regel nicht im Voraus festgelegt werden. Erst müssen die verschiedenen Closing Conditions erfüllt sein – dazu gehören fast immer auch Genehmigungen externer Aufsichtsbehörden. Manchmal ist dieser Prozess schnell abgeschlossen, oft zieht er sich über Wochen oder gar Monate hin.

Mit dem Closing erfolgt der wirtschaftliche und rechtliche Übergang vom Verkäufer an den Käufer. Der Käufer übernimmt die vollständige Kontrolle über das Target. Für beide Organisationen beginnt eine neue Ära. Der Day One ist der erste Tag der neuen Zeit.

Day One, ein Tag wie jeder andere?

Was macht diesen Tag so besonders? Oft fällt er auf den Ersten eines Monats, aber manchmal liegt er auch mittendrin. Zugegeben, ein Neuanfang ist immer etwas Besonderes. Aber braucht es wirklich so viel Aufmerksamkeit?

Stellen wir uns einen neuen Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag vor. Für ihn ist dieser Tag zweifellos bedeutend. Wenn es sich dabei um den neuen CEO handelt, der eine große Transformation einleiten soll, ist der Tag auch für die gesamte Belegschaft nicht mehr „wie jeder andere“.

Der neue Mitarbeiter erwartet eine Begrüßung – vielleicht keinen Blumenstrauß oder Sektempfang, aber zumindest Orientierung. Wo befindet sich sein Büro? Welche Arbeitsgeräte stehen zur Verfügung? Welche Aufgaben warten auf ihn? Er möchte schnell loslegen und die Unsicherheit aus dem Weg räumen.

Nun übertragen wir diese Situation auf eine gesamte Belegschaft – 50, 100, 500 oder gar 1000 Menschen. Ihre Erwartungen sind ähnlich: ein herzliches, ernst gemeintes Willkommen, klare Orientierung und ein Gefühl der Sicherheit. Sie stellen sich viele Fragen: Was passiert jetzt? Was bedeutet das für das Unternehmen, meine Abteilung, meinen Vorgesetzten, meine Kolleginnen und Kollegen – und für mich persönlich?

Willkommen am Day One – dem Tag der hohen Erwartungen.

Das Day One Multitool

Ich habe noch niemanden getroffen, der diese Erwartungen bewusst nicht erfüllen wollte. Den Käufer aus der Einleitung habe ich ehrlicherweise nie kennengelernt.

Es gibt kein Patentrezept, das garantiert, dass am Day One alles perfekt funktioniert. Doch es existiert ein umfangreicher Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienen kann. Dafür muss man jedoch verstehen, was den beteiligten Organisationen wichtig ist und welche Anforderungen der Post Merger Integration zusätzlich erfüllt werden müssen.

Mitarbeitende brauchen Orientierung und Sicherheit. Das bedeutet: Sie müssen informiert werden – und zwar klar, konsistent und authentisch. Dazu dient die Integration Story. Sie beantwortet zentrale Fragen. Wer sind wir (als Käufer)? Welche Strategie verfolgen wir? Wie sehen wir das Target? Welche Erfolge des Targets sind für uns wichtig? (Stichwort Wertschätzung und Anerkennung) Welche Ziele verfolgen wir mit der Akquisition? Wie sieht unsere gemeinsame Zukunft aus? Wie wollen wir die Integration gestalten?

Zugegeben, das sind eine Menge Punkte. Aber mal im Ernst, die sollten eigentlich bereits vor dem Signing feststehen. Am Day One gilt es, sie in klare und verständliche Botschaften zu verpacken.

Der Day One ist der perfekte Zeitpunkt, um die Leitlinien für die gesamte Integration zu kommunizieren. Die Botschaften müssen wohlüberlegt, einfach, verständlich und umsetzbar sein. Natürlich sollten sie regelmäßig wiederholt werden – aber gerade beim ersten Mal müssen sie sitzen.

Der Zauber des Day One

Jeder Neuanfang hat seinen eigenen Zauber. Der Day One kennzeichnet auch den Startschuss der Integration. An diesem Tag ist die Gelegenheit, das Momentum des Neuen zu nutzen, um daraus die Energie für die Transformationsphase der nächsten Monate zu erzeugen.

Zusätzlich bietet sich hier die Möglichkeit, erste Berührungspunkte zwischen den Organisationen und ihren Mitarbeitenden zu schaffen. Diese Begegnungen sind der Katalysator für das Zusammenwachsen der Teams – und damit für eine erfolgreiche Integration. Am Day One gilt es, solche Berührungspunkte bewusst zu erzeugen.

Das Welcome Paket

Kleine Geschenke erhalten nicht nur die Freundschaft, sondern erleichtern auch den Start in eine neue Unternehmensphase. Ein durchdachtes Welcome Paket ist mehr als nur Notizblock und Kugelschreiber mit dem neuen Logo – es drückt Wertschätzung aus und schafft eine Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit.

Das könnte zum Beispiel ein persönlicher Brief des neuen CEOs. Nicht zu lang, aber authentisch, mit klaren Worten – und einer handschriftlichen Unterschrift. Das macht viel Arbeit, signalisiert aber echte Wertschätzung. Wenn bereits ein Rebranding entschieden ist, können auch neue Visitenkarten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Wie gehe ich aber mit denen um, die nicht mit auf die Reise kommen? Wie kommuniziere ich das ehrlich authentisch und verträglich?

Die Q&A Seite

Eine Q&A-Seite im Intranet hilft, zentrale Botschaften zu verankern und gibt Mitarbeitenden die Möglichkeit, Informationen nachzulesen. Welche Fragen könnten sie haben? Welche Antworten lassen sich bereits geben?

Auch wenn noch nicht alle Details geklärt sind, können offene Fragen gesammelt und zu gegebener Zeit beantwortet werden. Eine zusätzliche Möglichkeit ist eine Hotline – ein E-Mail-Postfach oder ein internes Forum, an das Mitarbeitende ihre Fragen senden können. Wichtig ist, dass die Antworten zeitnah erfolgen und relevante Fragen in die Q&A aufgenommen werden.

Die gute alte Roadshow

In Zeiten von Homeoffice könnte man versucht sein, den Day One einfach virtuell abzuhalten. Der neue CEO könnte bequem aus dem Büro oder sogar vom heimischen Sofa aus eine Ansprache halten. Theoretisch möglich – praktisch aber keine gute Idee. Welche nonverbale Botschaft würde das an die neuen Mitarbeitenden senden? Sicherlich keine, die Wertschätzung oder echtes Interesse ausdrückt.

Präsenz zählt. Am Day One vor Ort zu sein und erlebbar zu sein, macht einen wesentlichen Unterschied. Es zeigt, dass der neue Eigentümer die Integration ernst nimmt und bereit ist, in persönliche Begegnungen zu investieren. Doch was tun, wenn das Target mehrere Standorte hat?

Hier hilft sicher eine Videoübertragung, damit wirklich alle Mitarbeitenden den Day One direkt miterleben. Natürlich wissen die Beschäftigten, dass sich der CEO nicht klonen kann. Aber es gibt eine Alternative. Weitere Vorstands- oder Geschäftsführungsmitglieder könnten an anderen Standorten präsent sein. Auch Führungskräfte aus der Käuferorganisation können diese Rolle übernehmen – und so wichtige persönliche Berührungspunkte schaffen.

Doch mit dem Day One allein ist es in dieser Situation nicht getan. Am Tag danach beginnt die Roadshow – eine Tour zu den weiteren Standorten. Ja, das ist anstrengend. Und ja, nach der fünften oder neunten Rede mag es sich wiederholen. Aber genau das gehört zur Aufgabe eines CEOs in der Post Merger Integration. Es gibt keine Entschuldigung dafür, diesen persönlichen Kontakt zu vernachlässigen.

Merger of Equals – eine gute Nachricht?

Ein Merger of Equals klingt zunächst nach einem fairen und ausgeglichenen Prozess. Sollte das nicht auf allen Seiten positive Reaktionen hervorrufen? Doch ist das wirklich der Fall?

Wenn zwei ebenbürtige Unternehmen zusammengeführt werden, ist keine der beiden Organisationen in Führung. Niemand gibt eindeutig den Ton an. Das bedeutet, Alles steht infrage – in beiden Unternehmen. Wer einen solchen Prozess schon einmal erlebt hat, weiß, wie viel Unsicherheit das bei den Mitarbeitenden in beiden Organisationen auslöst.

Doch wie lässt sich mit dieser Unsicherheit umgehen? Am Day One sind viele Fragen noch offen. Wie wird die künftige Organisation aussehen? Welche Abteilungen bleiben bestehen? Wer übernimmt welche Führungsrolle? Und oft ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal der Abstimmungsprozess mit dem Betriebsrat abgeschlossen.

Die Lösung ist anspruchsvoll und zugleich simpel: Ehrlichkeit und Transparenz. Wenn bestimmte Entscheidungen noch nicht getroffen oder final abgestimmt sind, sollte genau das offen kommuniziert werden. Statt vager Beruhigung hilft eine klare Ansage. Der Prozess mit dem Betriebsrat ist noch nicht abgeschlossen. Wir führen in den kommenden Tagen Gespräche und informieren euch, sobald es Neuigkeiten gibt.

Mitarbeitende erwarten nicht sofort fertige Lösungen – aber sie erwarten Verlässlichkeit in der Kommunikation. Und die beginnt mit Ehrlichkeit.

Jenseits von Kommunikation und Führung

Es gibt Situationen, die eine zusätzliche Komplexitätsstufe mit sich bringen – insbesondere dann, wenn das Target nicht mehr voll funktionsfähig ist. Das ist zum Beispiel bei einem Asset Deal mit Mitarbeiterübernahme im Rahmen einer Insolvenz oder bei einem Carve-out, bei dem wesentliche Funktionen erst neu aufgebaut werden müssen, der Fall.

In solchen Fällen stellen sich existenzielle Fragen. Wer stellt sicher, dass Löhne und Gehälter pünktlich gezahlt werden? Ist das Supply Chain Management funktionsfähig, damit Rohstoffe für die Produktion bestellt werden können?

Diese Herausforderungen müssen bereits im Vorfeld gelöst werden. Dabei steht in der Regel auch die Verkäuferseite unterstützend zur Verfügung. Doch diese Vorbereitungsphase darf nicht unterschätzt werden – hier entscheidet sich, ob der der gemeinsame Start gelingt oder im Chaos endet.

Am Day One sollte alles Wesentliche geklärt sein. Gerade in solchen Szenarien ist klare Kommunikation entscheidend, denn die Unsicherheit der Mitarbeitenden ist in diesen Fällen oft besonders groß. Natürlich wird es immer unerwartete Probleme geben. Doch entscheidend ist, dass sie schnell erkannt und konsequent – vor allem im Sinne der Mitarbeitenden – gelöst werden.

Was kommt nach dem Day One?

Nach dem Day One ist immer noch vor dem Erfolg. Die Arbeit geht weiter. Die Integration muss aktiv gesteuert und konsequent vorangetrieben werden. Dranbleiben lautet die Devise, denn nur so lässt sich der langfristige Erfolg der Transaktion sicherstellen.

Der Day One ist der erste Tag einer neuen Ära. Aber ist er auch der wichtigste? Das lässt sich heute noch nicht sagen. Sicher ist nur eines: Er ist entscheidend.

Jede Transaktion ist anders. Es gibt keine One-Size-Fits-All-Lösung für den Day One. Doch eines gilt immer:

Am Day One hören alle besonders aufmerksam zu – nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen.

In diesem Moment zählt vor allem Führung und Kommunikation.

Ich persönlich bin ein klarer Verfechter von Transparenz und Ehrlichkeit. Natürlich gibt es Situationen, in denen noch nicht alles offengelegt werden kann – etwa wenn das finale Okay des Betriebsrats noch aussteht. Doch alles, was gesagt werden kann, sollte auch gesagt werden. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch klare und verlässliche Kommunikation.

19. Februar 2025 – PMIspective – Integration am Day One: Die Kunst, die richtigen Botschaften zu senden – PMI-Expertentalk

19. Februar 2025 – PMIspective – Integration am Day One: Die Kunst, die richtigen Botschaften zu senden – PMI-Expertentalk

Am Day One kannst du in deinem neuen Unternehmen entweder Legendenstatus erreichen – oder dafür sorgen, dass sich die Beschäftigten nach einem Exit-Plan umsehen. Der erste Eindruck zählt. Und er entsteht nicht durch große Reden oder endlose Folienschlachten, sondern durch das, was wirklich bei den Menschen ankommt.

Denn am Day One merken die Beschäftigten nicht, wie gut deine Strategie ist. Aber sie nehmen deutlich wahr, ob sie sich willkommen fühlen, ob sie wertgeschätzt werden und ob der Tag gut organisiert ist. Diese Erinnerung bleibt hängen und zieht sich durch den gesamten Integrationsprozess.

In dieser PMIspective reden wir darüber, mit welchen kleinen und großen Gesten man die Beschäftigten am Day One gekonnt ins Boot holt. Mit praxisnahen Einblicken, Best Practices und Anekdoten beleuchten wir, wie man den Day One als Startschuss für eine gelungene Integration nutzt – oder wie man ihn so richtig gegen die Wand fährt.

📆 19. Februar 2025
🕐 13:00 – 13:40 Uhr
🌎 PMIspective-Link

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Schade, aber schon am 19. März gibt es die nächste PMIspective. Save the date!

Über PMIspective

Heimliche PMI-Planer

Heimliche PMI-Planer

Da sind wir raus!

„Mit Verlaub, damit haben wir doch überhaupt nichts zu tun. Mit dem Signing sind wir raus aus dem Prozess.“ Diese Bemerkung erhielt ich vor einigen Wochen nach meinem Vortrag Warum M&A-Berater PMI mitdenken müssen – und zwar von einem Vertreter der Sell-Side.

Natürlich hatte ich mit dieser Reaktion gerechnet. Trotzdem saß der Schlag. „Im Haifischbecken geht es nicht unbedingt freundlich zu“, sagte später jemand zu mir. Der Titel meines Vortrags war bewusst provokativ gewählt: Warum M&A-Berater PMI mitdenken müssen. Ich hatte die Sell-Side herausgefordert – und die erwartete Reaktion erhalten.

Dass die Berater der Buy-Side die Integration und damit die Realisierung der Akquisitionsziele mitdenken sollten, darin waren sich alle einig. Aber reicht das aus? Oder wäre es vielleicht besser, einfacher und schneller, wenn auch die Sell-Side den nächsten Schritt antizipiert?

Zwei Seiten mit entgegengesetzten Interessen?

In der einen Ecke: die Sell-Side, mit einem hübsch verpackten Unternehmen, das bestmöglich verkauft werden soll. Wobei „bestmöglich“ in der Regel mit dem Preis gleichgesetzt wird. In der anderen Ecke: die Buy-Side. Sie möchte das Unternehmen erwerben, hat ihre eigenen Ziele und Vorstellungen, die sie mit dem Erwerb erreichen will. Und wir wissen alle: „Im Einkauf liegt der Segen.“ Deshalb ist die Buy-Side daran interessiert, so wenig wie möglich zu zahlen.

Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht eine Transaktion genau so aus: stark vereinfacht, aber dennoch realistisch.

Beim näheren Hinsehen entdeckt man jedoch zahlreiche Nebenbedingungen. Zeit ist Geld: Je schneller die Transaktion abgeschlossen wird, desto besser. Die Buy-Side kalkuliert auf Basis eines Business-Cases und leitet daraus einen maximalen Kaufpreis ab. In diesen Business-Case fließen die Risiken ein, die man in der Due Diligence entdeckt hat – und die die Sell-Side nicht entkräften konnte.

An diesem Punkt wird es spannend. Manche Risiken lassen sich durch Versicherungen abfedern, deren Prämie wiederum in den Kaufpreis einfließt. Andere Risiken werden durch nachträgliche Kaufpreisanpassungen oder Earn-out-Klauseln im Vertrag geregelt. Beides spiegelt sich letztlich in den Kaufpreiserwartungen wider.

Am Ende dreht sich Alles weiter um den Kaufpreis – jedoch auf komplexere Weise. Und um das Ganze noch komplizierter zu machen, kommt der Faktor Incentivierung ins Spiel. Ich habe bisher noch keine Transaktion gesehen, bei der die Berater der Sell-Side nicht direkt über den Kaufpreis incentiviert wurden.

„Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte

Im Gegensatz zu Monopoly gibt es bei M&A-Transaktionen keine Gemeinschaftskarten, mit denen man sich aus verfahrenen Situationen befreien kann. Aber es hilft, den Blick zu weiten und eine andere Perspektive einzunehmen.

Die Buy-Side ist – wenn man einen Schritt zur Seite tritt – daran interessiert, die Ziele mit dem Unternehmen zu erreichen und den Business-Case zu maximieren. Und das funktioniert nicht nur über einen möglichst geringen Kaufpreis. Sobald man diese Perspektive einnimmt, eröffnen sich neue Optionen. Das Spannende daran: Es ergeben sich nicht nur zusätzliche Möglichkeiten für die Buy-Side, sondern auch für die Sell-Side.

Wer sich schon einmal mit Spieltheorie beschäftigt hat, kennt das Konzept aus dem Gefangenendilemma: Zwei Häftlinge sitzen eine geringe Haftstrafe ab und erhalten die Möglichkeit, durch eine Kronzeugenregelung gegeneinander auszusagen. Wenn nur einer aussagt und den anderen belastet, kommt er frei, während der andere eine lange Haftstrafe verbüßt. Sagen jedoch beide aus, gilt die Kronzeugenregelung nicht, und beide erhalten die höhere Strafe.

Das Drama von Tosca

In beeindruckendem musikalischem und historischem Kontext hat Puccini eine solche Situation in seiner Oper Tosca eingebaut. Um Euch nicht zu sehr auf die Folter zu spannen, verzichte ich auf die Vorgeschichte und historische Einordnung.

In der entscheidenden Szene stehen sich die beiden Protagonisten Scarpia und Tosca gegenüber. Tosca möchte ihren geliebten Cavaradossi retten, der von Scarpia zum Tode durch Erschießen verurteilt wurde. Scarpia willigt ein, Platzpatronen anstelle scharfer Munition für die Hinrichtung einzusetzen – unter der Bedingung, dass Tosca den Abend mit ihm verbringt.

In der Spieltheorie sagt man, wenn beide kooperieren, erreichen sie jeweils ihr Ziel, müssen jedoch eine Gegenleistung erbringen. Scarpia hätte die Möglichkeit, den Abend mit Tosca zu verbringen, würde jedoch auf die Genugtuung verzichten, seinen Rivalen Cavaradossi aus dem Weg zu räumen. Tosca hingegen könnte ihren geliebten Cavaradossi unversehrt zurückgewinnen, müsste dafür aber Scarpia für einen Abend ertragen.

Am Ende des zweiten Aktes zeigt sich die Kurzsichtigkeit beider Figuren. Scarpia befiehlt nicht, die Patronen auszutauschen. Tosca wiederum nutzt die Gelegenheit zu Beginn des gemeinsamen Abends und stößt Scarpia ein Messer in die Brust.

Beide versuchen, die Situation zu ihrem eigenen Vorteil aus ihrer eigenen Perspektive zu optimieren. Sie ignorieren dabei, dass der jeweils andere eine eigene Perspektive hat und eigenständig entscheidet, wie er die Optionen bewertet. Ohne die Kooperation zahlen zwar beide für sich den geringeren Einsatz, erhalten aber auch beide nicht die erhoffte „Belohnung“.

Das gibt es doch nur im Märchen, oder?

So dramatisch und zugespitzt wie in der Oper begegnen uns solche Situationen im echten Leben selten. Dennoch habe ich ähnliche Verhaltensweisen immer wieder bei M&A-Transaktionen erlebt. Zum Glück hat dabei noch niemand das Leben verloren – Geld jedoch schon, und das nicht zu wenig.

Vor einigen Jahren wurde einer Einheit von Entwicklern, die im Rahmen eines Carve-outs aus einem größeren Unternehmen herausgelöst werden sollte, verkauft. Kooperation hätte bedeutet, dass die Sell-Side mehr Transparenz über die Kompetenzen der Mitarbeiter*innen gewährt und der Käufer schon vor dem Closing mit ihnen kommunizieren darf.

So hätte der Käufer die Chance gehabt, mehr der Entwickler vom Wechsel in das Target überzeugen zu können. Im Gegenzug wäre er bereit gewesen, einen höheren Preis zu zahlen. Mehr Transparenz hätte das Risiko für die Buy-Side reduziert und den Business-Case erheblich verbessert.

Leider spielten beide Seiten eher Tosca und Scarpia. Die Geschichte ging nicht glorreich aus – aber sie liefert einen eindrucksvolles Intro für viele meiner Vorträge: die Geschichte von Martin.

Ein alternatives Ende

Wie könnte es anders laufen? Schließlich hat die Sell-Side nach dem Signing – und spätestens nach dem Closing – keinen Einfluss mehr auf das Target, also das verkaufte Unternehmen. Dies war auch der zentrale Punkt in unserer Diskussion vor einigen Wochen.

Meine Gedanken und meine Sichtweise kann ich niemandem aufzwingen. Aber ich kann sie anderen zur Verfügung stellen und so die Möglichkeit schaffen, neue Perspektiven zu eröffnen. Genauso, wie ich es in meinem Vortrag getan habe, könnte auch die Sell-Side einen Perspektivwechsel bei der Buy-Side anregen.

Nehmen wir einmal an, die Buy-Side plant keine umfangreiche Integration. Der Business-Case enthält in diesem Szenario hohe Risikoabschläge und lange Zeiträume bis zum Erreichen eines stabilen, eingeschwungenen Zustands. Warum sollte die Sell-Side in diesem Fall nicht vorschlagen, durch eine aktivere Integration die Risiken zu minimieren und die Implementierungszeit zu verkürzen?

Ein solches Vorgehen hätte klare Vorteile: Ein aktiveres Management der Integration würde den Business-Case der Buy-Side stärken, den Wert des Targets erhöhen und damit auch einen höheren Kaufpreis ermöglichen. Natürlich müsste die Sell-Side dafür etwas opfern, zum Beispiel durch mehr Transparenz über den Zustand des Targets. Eine gemeinsame Session zum Integrations-Setup könnte ein erster Schritt sein. Dabei könnten nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen offengelegt werden, die noch vor dem Closing adressiert werden könnten.

Solche Prozesse verlaufen in der Regel Schritt für Schritt – oder, wie man sagt, „Zug um Zug“. Beide Seiten geben etwas, und beide profitieren davon. Durch kontinuierliche Kooperation und den gegenseitigen Vertrauensaufbau schaffen sie eine Grundlage für den gemeinsamen Erfolg.

Bevor der Vorhang fällt

Unsere Welt wird immer vielfältiger und bunter, damit aber auch komplexer. Die Nachhaltigkeit einer M&A-Transaktion zeigt sich nicht beim Signing, sondern erst Jahre später.

Es ist zu kurz gedacht, einfach der Buy-Side den Schwarzen Peter für die Integration zuzuschieben. Dies führt zurück zu einer eindimensionalen Bewertung der Handlungsoptionen, wie sie Tosca und Scarpia in ihrer Kurzsichtigkeit an den Tag legten.

Für erfolgreiche M&A-Transaktionen braucht es Weitsicht. Es lohnt sich, einige Schritte weiterzudenken, mehrere Jahre in die Zukunft zu blicken und die Perspektive zu wechseln. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die andere Seite ebenfalls eigene Ziele und Bewertungen hat.

Kooperation ist der Schlüssel, um das gemeinsame Optimum zu erreichen. Es hilft, den nächsten Schritt schon vorab zu antizipieren. Bei M&A-Transaktionen bedeutet dies: die Integration des Targets in den Blick zu nehmen – auch wenn die Umsetzung letztlich bei der Buy-Side liegt.

Vielleicht ist genau deshalb die „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte keine individuelle, sondern eine Gemeinschaftskarte.

22. Januar 2025 – PMIspective – Heimliche PMI-Planer: Wie M&A-Berater den Deal-Erfolg beeinflussen – PMI-Expertentalk

22. Januar 2025 – PMIspective – Heimliche PMI-Planer: Wie M&A-Berater den Deal-Erfolg beeinflussen – PMI-Expertentalk

Sobald die Tinte unter dem Vertrag getrocknet ist, sind die M&A-Berater offiziell raus – aber ihr Einfluss hallt lange nach. Denn eigentlich geht es ja nicht um den Kauf, sondern darum, was man daraus macht. Wer hier nur auf den Kaufpreis schielt, übersieht das Wesentliche: klare Pläne, realistische Ziele und minimierte Risiken für einen Deal, der auch nach dem Signing funktioniert.

Gelingt das? Nur, wenn Käufer, Verkäufer und Berater an einem Strang ziehen. Denn ohne strategischen Weitblick der M&A-Berater wird die PMI zur Zitterpartie.

In dieser PMIspective diskutieren wir, wie M&A-Berater einen Deal so vorbereiten, dass die Integration möglichst gut funktioniert. Mit praxisnahen Einblicken, Best Practices und Anekdoten beleuchten wir, warum Deals schon vor dem Signing gewonnen oder verloren werden und wie man durch Kooperation eine Win-Win-Situation herbeiführt.

📆 22. Januar 2025
🕐 13:00 – 13:40 Uhr
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18. Dezember 2024 – PMIspective – Unternehmensübernahme: Wer nimmt die Alten? – PMI-Expertentalk

18. Dezember 2024 – PMIspective – Unternehmensübernahme: Wer nimmt die Alten? – PMI-Expertentalk

Wer nimmt die Alten?

Nein, es geht nicht um Weihnachten. Ich spreche von den ehemaligen Geschäftsführern, die nach einer Übernahme plötzlich nicht mehr am Steuer sitzen. Statt die Geschicke des Unternehmens zu lenken, steht der Ex-Chef plötzlich tatenlos im Abseits wie ein Weihnachtsbaum nach Silvester. Keiner weiß so recht, was man mit ihm anfangen soll.

🚨 Jetzt heißt es: Obacht, bevor er kreativ wird und seine ganz eigenen Post-Merger-Rituale entwickelt. Hier ein paar Klassiker:

👉 Der Flurfunk-Spezialist: Gibt ungefragt Ratschläge an der Kaffeemaschine, betreibt Unternehmensanalyse mit den Praktikanten und warnt jeden vor „den neuen Strategien“.

👉 Der Meeting-Marathon-Mann: Besucht ALLE Meetings, auch wenn er nicht eingeladen ist, und kommentiert jede PowerPoint-Folie mit einem kopfschüttelnden „Das haben wir noch nie so gemacht“.

👉 Der Mentor der Herzen: Ernennt sich selbst zum weisen Berater und bietet jeder Führungskraft persönliche Mentoring-Sessions an – ob sie wollen oder nicht.

👉 Der Fachmann für Kleinigkeiten: Analysiert aus Langeweile jedes Detail, etwa die Ergonomie der Schreibtischstühle oder ob die Kaffeemaschine wirklich ideal steht.

Das will niemand. Aber wie findet man eine sinnvolle Rolle für die ehemaligen Entscheidungsträger? Wie nutzt man ihre grandiose Expertise, ohne dass sie den neuen Kurs torpedieren?

In unserer nächsten PMIspective am 18. Dezember diskutieren wir die Herausforderungen und Lösungen. Lass dich von unserer Expertenrunde inspirieren, erfahre Best Practices und höre, wie andere Unternehmen solche Situationen gemeistert haben. Tausche dich aus, stelle Fragen und erzähl uns deine eigenen Anekdoten – alles in lockerer Atmosphäre.

📆 18. Dezember 2024
🕐 13:00 – 13:40 Uhr
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