von admincf | Nov. 15, 2025 | Insight, Newsroom
Wenn die Rettung teurer wird als das Problem
„Du sollst kein gutes Geld schlechtem hinterherwerfen!“ Dieser Satz von Börsenlegende André Kostolany hat sich bei mir eingebrannt – irgendwo zwischen einem abgestürzten Dotcom-Investment und einem Glas Rotwein. Und er schoss mir sofort wieder durch den Kopf, als mir ein Private Equity Fonds eine dieser ganz besonderen Ideen präsentierte: Sanieren durch Akquirieren.
Die Geschichte lief ungefähr so: Da gab es ein Portfoliounternehmen, das einfach nicht performen wollte. Klar, das Vorzeichen vor dem Ergebnis war noch positiv, aber die Zahl dahinter? Meilenweit entfernt von dem, was man sich im Business Case ausgemalt hatte. Als ich nach den wahrscheinlichen Ursachen fragte, kam vom zuständigen Partner prompt: „Die Prozesse sind das Problem.“ Die Lösung? Stand auch schon parat. Man wollte einfach ein weiteres Unternehmen aus der Branche kaufen, eines mit funktionierenden Prozessen, diese dann übernehmen und Schwupps, läuft der Laden.
Zugegeben, Kostolanys Warnung greift hier nicht vollständig. Sein Rat zielt ja auf passive Investments ab, vor allem auf Aktienkäufe. Aber in der Situation eines Private Equity Fonds ist man alles andere als passiv. Man kannst aktiv eingreifen, Dinge bewegen. Und die vorgeschlagene Akquisition wäre genau das: eine aktive Intervention. Also lohnt es sich durchaus, die Sache gründlich zu durchleuchten, statt sie direkt vom Tisch zu wischen.
Erst das Problem verstehen…
Pauschallösungen gibt es nicht, weder das reflexartige „bloß kein Euro mehr reinpumpen“ noch das optimistische „wird schon gutgehen“. Im M&A Geschäft braucht es den scharfen Blick fürs Detail: Probleme präzise identifizieren, Ursachen konsequent aufdecken.
Was bedeutet es denn konkret, wenn etwas nicht richtig rund läuft? Fehlt der funktionierende Zugang zum Markt? Reichen Qualität von Produkten oder Services nicht aus? Liegt der Automatisierungsgrad zu niedrig, was wiederum Prozesszeiten in die Länge zieht oder Personalkosten explodieren lässt?
Ganz ehrlich: Mit „es liegt an den Prozessen“ kommt man auch nicht weit. Prozesse durchziehen die gesamte Wertschöpfungskette an den unterschiedlichsten Stellen. Welche Prozesse genau machen Probleme? Warum lassen sie sich nicht einfach anpassen? Blockiert die IT-Applikationslandschaft? Fehlt es an Digitalisierung?
Tatsächlich mangelt es manchmal schlicht an der nötigen Größe, um Skaleneffekte zu erzielen, die Wettbewerber längst für sich nutzen. Wobei selbst dann eine Akquisition keine Erfolgsgarantie bietet, wie etwa die Getir/Gorillas Transaktion vor drei Jahren eindrücklich demonstriert hat.
…dann die Lösung auswählen
Die Frage „Wie sollte das Target dann aussehen?“ ließe sich herrlich simpel beantworten: Es braucht schlicht die maßgeschneiderte Lösung für genau dieses Problem. Doch wie erkennt man die wirklich? Woher will man wissen, dass das, was das Target mitbringt, tatsächlich die passende Lösung ist, die am Ende beide Unternehmen wieder richtig zum Laufen bringt?
Nehmen wir die Vertriebsprozesse als Beispiel. Selbst wenn beide Seiten die gleichen Produkte verkaufen, garantiert das noch lange nicht, dass die Vertriebsprozesse auch in einem anderen Markt funktionieren. Und dieser andere Markt muss nicht einmal ein anderes Land sein. Man denke nur an B2B versus B2C. Und nur weil per Definition eine Zielgruppe ins B2B Schema fällt, heißt das noch lange nicht, dass alle dort wie Konzerne ticken.
Je tiefer die Lösung im Inneren der Organisation verankert liegt, desto schwieriger wird die Übertragbarkeit. Ein spannender Fall: Das Unternehmen erbringt Dienstleistungen für Konsumenten. Filialbasiert, sehr personalintensiv, kurze Interaktionszeit mit dem Kunden. Die Prozesse zur Leistungserbringung funktionieren prinzipiell gut. Qualität und Effizienz stimmen. Das Problem: Das erforderliche Service Mindset fehlt – nicht so sehr in den Filialen, aber im ganzen Rest der Organisation. Selbst durch ein perfektes Target lässt sich dieses Mindset unmöglich akquirieren. Das braucht immer einen ausdauernden Transformationsprozess.
Egal, wo der Hund begraben liegt – wer bei der Target-Auswahl nicht gleichzeitig die spätere Integration mitdenkt, der sollte sich Kostolanys Mahnung einrahmen. Die Frage ist also nicht nur, ob das Target die passende Lösung hat, sondern besonders auch: Wie lässt sich die Lösung aus dem Target übertragen?
Von Merger of Equals und Reverse Integration
Das zweite Detail aus jenem Gespräch? Der Satz: „Das ist dann ja ein Merger of Equals.“ Falsch gedacht! Die Unternehmen sind alles andere als ebenbürtig. Das eine läuft rund, das andere nur mit Aussetzern. Wer hier das Label „Merger of Equals“ aufklebt, setzt die völlig falschen Erwartungen.
Noch mal kurz die Situation: Man hat die Lösung für seine Probleme gefunden. Diese Lösung kommt in Gestalt einer Add-on Akquisition daher. Man entscheidet sich für den Akquisitionsweg. Dann wäre es geradezu absurd, so zu tun, als könnten beide Organisationen jetzt gleichberechtigt aushandeln, wie sie miteinander verschmelzen möchten.
Die Realität dreht das Spiel komplett um. Man hat es mit einer Reverse-Integration zu tun, denn das Target bringt offensichtlich die überlegenen Strukturen mit. Zugespitzt formuliert: Man integriert den Käufer ins Target hinein. Die Wertschätzung, die man in klassischen Konstellationen dem Target entgegenbringt, gebührt hier dem Käufer.
Daher die klare Empfehlung: Das Target nicht direkt durch das ursprüngliche Portfoliounternehmen akquirieren. Stattdessen die Transaktion über das Akquisitionsvehikel abwickeln. So stehen beide Unternehmen zumindest nebeneinander, und die Organisation des Targets ordnet sich nicht versehentlich unter.
Ohne ausreichend Puffer wird die Sanierung zur Zerreißprobe
Ausreichend Puffer bildet die Grundvoraussetzung für den Erfolg einer Sanierung durch Akquisition. Die Ausgangslage: Das ursprüngliche Unternehmen glänzt nicht gerade durch Profitabilität. Viel zu häufig kippt eine knapp positive Ertragslage ins Minus. Dann wird die Liquidität zum Engpass, die Zeit zum knappen Gut.
Gleichzeitig tauchen immer unvorhergesehene Ereignisse auf. Diese verschlingen mindestens zusätzliche Zeit, meist auch zusätzliches Geld. Da kommt die Einführung eines wichtigen IT Systems, die weitere Migrationen nach sich zieht. Dort lassen sich die Produktionsprozesse zwar mit dem vorhandenen Maschinenpark abbilden, aber die Logistik steht plötzlich vor einer ungeplanten Herausforderung.
Rutscht man durch solche Entwicklungen in einen Sanierungsfall, muss die angestrebte Transformation zurückstehen. Das kann schnell ein oder zwei Jahre verschlingen. Unvorhergesehenes gehört zu jeder M&A Transaktion dazu, nur fallen die Auswirkungen hier deutlich schwerer ins Gewicht.
Keine Experimente in der Krise
In der Krise bleibt keine Zeit für Experimente. Das wirft die Frage nach klaren Ausschlusskriterien auf. Die Filter von der Longlist zur Shortlist sind bereits extrem eng und lassen kaum Targets durch. Die Anforderungen an ein passendes Target für die Sanierung durch Akquisition fallen knallhart aus.
Handelt es sich beim ursprünglichen Unternehmen um einen Restrukturierungsfall oder steckt es gar in akuter Insolvenzgefahr, gilt eine eiserne Regel: Finger weg von der komplexen Sanierung durch Akquisition.
Der kürzere Weg könnte der bessere sein
Manchmal führt der direkte Weg schneller ans Ziel. Wer ernsthaft erwägt, die Sanierung gleich im bestehenden Unternehmen anzupacken, sollte sich fragen: Warum nicht auch die nötige Transformation dort umsetzen? Das Risiko bleibt überschaubar, und der Kapitalbedarf fällt deutlich geringer aus.
Ohnehin muss man für die Auswahl des richtigen Übernahmekandidaten die Probleme und ihre Ursachen gründlich durchleuchten und messerscharf identifizieren. Sonst droht die Gefahr, ein Target zu wählen, das zwar hervorragend dasteht, aber am eigentlichen Problem vorbeigeht.
Sind Probleme und Ursachen erst einmal klar erkannt, liegt die Lösung fast immer auf der Hand. Und durch den Transformationsprozess muss die Organisation so oder so, auch bei der Sanierung durch Zukauf.
Mut oder Übermut?
Sanierung durch Akquisition – das klingt verlockend, ist aber alles andere als die Silver Bullet für angeschlagene Portfoliounternehmen. Wer diesen Weg einschlägt, spürt schnell den enormen Druck, der auf solch einer Transaktion lastet. Denn hier geht es nicht nur darum, dass zwei Organisationen irgendwie, irgendwo, irgendwann zusammenwachsen. Nein, das Zusammenwachsen ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass die Rochade überhaupt funktioniert.
Wer denkt, mit frischem Kapital für Transaktion und Akquisition sei es getan, unterschätzt die Sache gewaltig. Die eigentliche Herausforderung wartet nämlich danach: die Transformation des Unternehmens. Und genau hier drängt sich eine Frage geradezu auf, die man sich unbedingt ehrlich beantworten sollte: Warum steckt man nicht gleich die ganze Energie direkt in die Sanierung und Transformation des ursprünglichen Unternehmens?
Bevor man also vorprescht und womöglich doch gutes Geld dem schlechten hinterherwirft, lohnt sich ein glasklarer Blick auf die tatsächliche Situation. Erst verstehen, was wirklich los ist – dann entscheiden.
von admincf | Okt. 10, 2025 | Insight, Newsroom
Von Nationalpark nach Jerusalem
Kruger Nationalpark, Südafrika. Closing-Offsite. Die Morgensonne steht schon hoch, das Frühstück ist fast verdaut. Die beiden CEOs nutzen die Zeit bis zum Workshop für einen Spaziergang durch die Savanne. Gute Idee. Frische Luft, klarer Kopf, strategische Gedanken. Als plötzlich ein Löwe vor ihnen steht. Großkatze. Hungrig. Interessiert. Die Mimik lässt keinen Zweifel: Das Tier hatte noch kein Frühstück.
Einer der beiden CEOs bleibt erstaunlich ruhig. Er öffnet seinen Rucksack, holt Turnschuhe heraus und beginnt, sie anzuziehen. Langsam, konzentriert, als hätte er alle Zeit der Welt. Sein Kollege beobachtet die Szene mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Spott. „Ernsthaft? Mit Deiner sportlichen Verfassung willst Du schneller laufen als der Löwe?“ Der erste CEO schnürt den letzten Schuh zu, richtet sich auf und lächelt. „Muss ich zum Glück auch nicht. Es reicht völlig, wenn ich schneller bin als Du.“
Das könnte natürlich auch eine Antwort auf die CEO-Frage sein. Zwei Unternehmen fusionieren, zwei Chefs kommen zusammen, aber zum Closing steht noch nicht fest, wer ab Day One tatsächlich das Ruder übernimmt. Vertagt. Aufgeschoben. Offen gelassen.
Eine andere Variante? Reise nach Jerusalem. Wer das Spiel von Kindergeburtstagen kennt, versteht das Prinzip sofort. Zwei CEOs. Ein Chefsessel. Solange die Musik läuft, bleiben alle entspannt. Aber irgendwann hört die Musik auf. Und wer dann zuerst sitzt, hat den Job.
Wobei, Spaß beiseite. Wenn zwei Unternehmen fusionieren, die mehr oder weniger auf Augenhöhe liegen, wenn man den berühmten und gerne beschworenen Merger of Equals spielt: Wie geht man dann eigentlich mit der CEO-Frage um? Muss die wirklich vor dem Closing geklärt sein? Oder darf man sich damit Zeit lassen, in Ruhe eine tragfähige und nachhaltige Lösung entwickeln, die zu der Strategie passt und mit der die Ziele der Akquisition auch erreicht werden?
Das Setting – Mythos Merger of Equals
Die Lehrbücher haben eine klare Vorstellung davon, was ein Merger of Equals (MoE) eigentlich ist. Zwei Unternehmen schließen sich zu einer neuen, eigenständigen Einheit zusammen, der NewCo. Die Details der Transaktion werden im Vorfeld penibel im Business Combination Agreement (BCA) festgelegt. Dort steht auch schwarz auf weiß, wie sich die Anteile des neuen Unternehmens auf die Gesellschafter bzw. Aktionäre der beiden Altgesellschaften verteilen.
In einem Merger of Equals im Sinne dieser reinen Lehre übernimmt nicht das eine Unternehmen das andere. Beide Parteien sind von Beginn an mehr oder weniger gleichberechtigt im Prozess. Weil die NewCo rechtlich als unabhängige Einheit entsteht, braucht sie von Tag eins an eine definierte Führungsstruktur. Wer schon mal in die Gründung einer GmbH oder Aktiengesellschaft involviert war, weiß, ohne explizite Angabe einer Geschäftsführung oder eines Vorstandes geht das nicht. Dies kann als Übergangslösung gestaltet sein, in der beide CEOs der Altgesellschaften eine Rolle spielen und die CEO-Frage bewusst erst nach dem Closing entschieden wird.
In der Praxis zeigt sich jedoch häufig ein weniger idealistisches Bild. Viele M&A Transaktionen folgen klar dem klassischen Käufer-Target Verhältnis und werden trotzdem großzügig mit dem Etikett Merger of Equals versehen. Gemeint ist dann meist: Man begegnet sich auf Augenhöhe und verzichtet darauf, dem Target ohne Diskussion alle Strukturen des Käufers überzustülpen.
Wer es mit der Augenhöhe ernst meint, stellt folgerichtig auch die Führungsstruktur und ihre Besetzung beim Käufer zur Disposition. Beim Target können Systeme liegen, die interessanter, effizienter oder passender sind. Und das gilt eben auch für die relevanten Führungskräfte, inklusive des CEOs des Targets.
Bevor Entscheidungen vorschnell getroffen werden, bevor man die handelnden Personen wirklich kennengerlernt hat, liegt es daher nahe, zentrale Personal- und Strukturfragen erst nach dem Closing zu klären. Zumal zwischen Signing und Closing ohnehin genügend andere Themen auf hoher Drehzahl laufen. Jede Entlastung an dieser Stelle schafft Handlungsspielraum.
Einschub: Wenn die Akquisition bewusst alles andere als auf Augenhöhe stattfinden soll. Die Entscheidung, das Modell des Käufers konsequent auf das Target auszurollen, steht im Vorfeld für viele Buy-&-Build Projekte faktisch fest. Gerade dann lohnt es sich trotzdem, bewusst nach Best Practices beim Target zu suchen. Das ist nicht nur ein wichtiges Signal der Wertschätzung gegenüber Organisation und Mitarbeitenden. In der Praxis entdeckt man nahezu immer etwas Interessantes, das nicht unter den Tisch fallen sollte.
Es gibt immer einen Schiedsrichter – Mythos Führungsvakuum
Dann ist da noch ein Spezialfall. Ein Finanzinvestor kauft mehrere Unternehmen zusammen. Das muss nicht zwingend im Rahmen einer Buy-&-Build Strategie im fragmentierten Markt geschehen; es können genauso gut nur zwei oder drei Unternehmen – zum Beispiel Wettbewerber – sein.
Startet die Konstruktion nicht mit einem Anker-Investment, sondern mit einer übergeordneten Gesellschaft, die nach und nach die zwei bis drei Einzelgesellschaften akquiriert, dann hat dieses Acquisition Vehicle aus rechtlicher Sicht von Anfang an eine Führung. Wir erinnern uns an die Gründungszeremonie beim Notar.
Ein Führungsvakuum entsteht also in keiner Konstellation. Spätestens die Gesellschaftervertreter oder die Gesellschafter des Unternehmens selbst haben nicht nur die Möglichkeit einzugreifen, sie tragen auch die Verpflichtung dazu.
CEO(s), Aufsichtsräte, Beiräte und Eigentümer schultern die Verantwortung, aufzupassen, dass die M&A Transaktion nicht zum chaotischen Kindergeburtstag mutiert, bei dem sich die Eltern der Gastkinder hinterher denken, „Zum Glück muss ich hier nicht aufräumen.“ Das gilt beim Merger of Equals ebenso wie bei einer Akquisition auf Augenhöhe und bei jeder anderen M&A Transaktion. Und das gilt unabhängig davon, ob die CEO-Frage bereits vor dem Closing geklärt ist oder nicht.
Die Chance endlich aufzuräumen – Die Vorteile
Vorstandsressorts sind in vielen Unternehmen nahezu in Stein gemeißelt. Die Chance, diese Zuschnitte grundlegend zu verändern, ergibt sich nur selten. Wenn sie sich zeigt, wäre es geradezu fahrlässig, sie verstreichen zu lassen. Eine Lektion, die jeder lernt, der sich ernsthaft mit organisatorischen Veränderungen beschäftigt. Selbst wenn ein neuer CEO antritt, bleibt die Struktur häufig unverändert.
Der Merger jedoch öffnet einen kostbarer Raum. Plötzlich liegt die Möglichkeit auf dem Tisch, Verantwortungen neu zu strukturieren. Veränderungen im Markt lassen sich in der Organisation abbilden. Die gewünschte, vielleicht sogar erforderliche Transformation kann endlich auch auf der obersten Ebene organisatorisch verankert werden. Dort, wo sie eigentlich hingehört.
Die Trennung von Struktur und Besetzung ist anspruchsvoll. Steht die Führungsmannschaft bereits vorher fest, wird sie nahezu unmöglich. Gönnt sich das Unternehmen hier Zeit, steckt es zuerst das Spielfeld ab und legt dann die Aufstellung fest. Im Rahmen der Integration wird häufig beim Target aufgeräumt. Dieser Anlass lässt sich ebenso nutzen, um beim Käufer aufzuräumen. Eine Chance, die viel zu oft ungenutzt bleibt.
Indem sich das Unternehmen die Zeit nimmt, die bestehenden Strukturen und Führungsmannschaften im wahrsten Sinne des Wortes zu erleben, bevor Entscheidungen fallen, setzt es ein deutliches Zeichen der Wertschätzung für das Target. So bleiben Best Practices des Targets nicht auf der Strecke. Die viel zitierte Begegnung auf Augenhöhe wird sichtbar gelebt und bleibt nicht bloß ein hübsches Lippenbekenntnis.
Unsicherheit und Undurchsichtigkeit – Die Nachteile
Nicht getroffene Entscheidungen erzeugen Unsicherheit. Diese Unsicherheit wirkt nach innen auf die Mitarbeitenden beider Organisationen und nach außen auf Kunden, Lieferanten, Partner, Finanzierer. Hält dieser Zustand zu lange an, droht Abwanderung. Gerade bei Mitarbeitenden zeigt sich immer wieder die gleiche Dynamik: Es gehen zuerst die Guten.
Parallel bestehende Strukturen führen zu Ineffizienzen. Damit die beiden Organisationen nicht gegeneinander arbeiten, werden zusätzliche Abstimmungen auf verschiedenen Ebenen und in fast allen Funktionen notwendig. Dieser erhöhte Abstimmungsaufwand gehört zwar zu jeder Integrationsphase und damit zu jeder M&A Transaktion, bleibt aber ein spürbarer Bremsfaktor.
Fehlende finale Strukturen und Verantwortlichkeiten können zudem den Fokus verschwimmen lassen. Unternehmensstrategie und Akquisitionsziele werden unterschiedlich interpretiert und entsprechend weniger konsequent umgesetzt. Eine ungeklärte CEO-Frage öffnet in manchen Konstellationen das Feld für taktische Manöver, politische Spiele und Machtspiele. Ein Schauspiel, das niemand wirklich braucht.
Vorübergehend führt die nicht getroffene Entscheidung in jedem Fall zu einem Zeitverzug bei der Umsetzung und bei der Erreichung der Akquisitionsziele. Die Risiken sind da. Ob und wie stark sie durchschlagen, hängt unmittelbar davon ab, wie diese Phase der Unsicherheit organisiert und gesteuert wird.
Den Übergang organisieren – Wie es gehen kann
Am Anfang steht das Ziel, die Vision für die gemeinsame Zukunft der beiden Organisationen. Welche Ziele sollen gemeinsam erreicht werden? Wie sieht der Erfolg der Akquisition in einem, zwei oder drei Jahren aus? Was lässt sich gemeinsam erreichen, was alleine nicht möglich war? Es sind die bekannten Fragen. Die Antworten, die dieser Vision Leben einhauchen, tragen beide Organisationen durch die Unsicherheit der Übergangsphase.
Auf die Vision folgt der weniger glamouröse, aber entscheidende Prozess. Wenn die eigentliche Frage noch nicht beantwortet werden kann, sollte zumindest klar sein, wie diese Frage beantwortet wird. Wie führt der Weg von der heutigen ungeklärten Situation hin zum neuen Zielzustand inklusive der dann geklärten CEO-Frage?
Dieses Vorgehen sollte idealerweise vor dem Closing definiert sein. Welche Schritte werden durchlaufen, welche Abstimmungen und Mitbestimmungen sind vorgesehen? Wann werden welche Ergebnisse kommuniziert? Neben zeitlichen Grenzen braucht der Prozess auch inhaltliche Grenzen, Leitplanken, einen klaren Rahmen. Was steht unumstößlich fest? Welche Gestaltungsräume gibt es? Was darf, was kann, was soll gestaltet werden? Diese Fragen zu beantworten bedeutet, den Menschen in beiden Organisation Halt zu geben.
So entsteht Sicherheit im offenen Raum. Je unbekannter das Terrain, desto höher die Anforderungen an Führung. Solange die CEO-Frage nicht abschließend geklärt ist, liegt ein zentraler Führungsauftrag bei den Gesellschaftern bzw. deren Vertretern. Hier sind Aufsichtsräte, Beiräte oder die Gesellschafter selbst gefragt.
Führungsstärke – Erfolgreich zum Ziel 1
Oben ist bereits klar geworden, dass auch bei ungeklärter CEO-Frage niemand durch ein Führungsvakuum steuert. Spätestens die Eigentümer stehen als Schiedsrichter zur Verfügung. Wie so oft im Leben begegnen sich hier Bring- und Holschuld. In dieser unsicheren Phase müssen Gesellschafter oder ihre Vertreter deutlich Führungsstärke demonstrieren. Dazu zählen Sichtbarkeit, Verfügbarkeit und Erreichbarkeit. Der Schiedsrichter muss zum Anpfiff auf dem Platz stehen – wer sich in der Umkleide oder im Wellnessbereich versteckt, hat bereits verloren, bevor das Spiel begonnen hat.
Offizielle Strukturen wie ein Steering Committee oder eine Entscheidungs-Charter erweisen sich in Standardsituationen durchaus als nützliche Helfer. Sie bringen Ruhe und Struktur in die Zusammenarbeit. Macht Sinn. Die wahre Bewährungsprobe lauert jedoch in den besonderen Fällen, in den Ausnahmesituationen, dort, wo keine Checkliste mehr weiterhilft.
Wenn sich die Gemüter an scheinbaren Kleinigkeiten erhitzen – etwa der, ob ein zentrales Accounting eingeführt wird oder beide Standorte lokales Accounting behalten – dann eskalieren Diskussionen schnell. Die Unsicherheit greift wie ein Flächenbrand auf die Organisationen über. Genau in diesem Moment müssen die Schiedsrichter eingreifen. Unverzüglich, nicht erst beim nächsten offiziellen Steering Committee in zwei Wochen.
Eröffnet sich in solchen Momenten ein zweites Spielfeld, verschiebt sich der Fokus dramatisch. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung dominieren plötzlich Machtspiele. Es wird – im wahrsten Sinne – taktiert, bis der Schiedsrichter kommt. Greifen die Eigentümer nicht rechtzeitig ein und unterbinden diese destruktiven Muster, entstehen Konstellationen, die später bereut werden. Phasen großen Umbruchs und ausgeprägter Unsicherheit sind nicht die Zeit für Machtspiele, so beliebt sie in freier Wildbahn auch sein mögen.
Orientierung bietet die konsequente Trennung von Run-the-Business und Change-the-Business. Welche Themen gehören zum normalen Geschäft (run), welche zur anstehenden Veränderung (change)? Diese klare Abgrenzung erweist sich als überraschend wirksam. In vielen Fällen kann das Business-as-usual für die Übergangszeit stabil weiterlaufen. So können die Schiedsrichter ihre kostbare Aufmerksamkeit auf die relevanten Fragen richten und klar erkennen, wie viel Taktik und Machtspiel tatsächlich im Hintergrund abläuft.
Transparenz schafft Vertrauen – Erfolgreich zum Ziel 2
Die Vision für den Merger steht. Das Warum hinter der CEO-Frage ist geklärt. Der Prozess zur Klärung ebenso, Meilensteine und erwartete Antworten für die organisatorische Veränderung sind sauber definiert. Aber sind wirklich alle im Bilde? Wissen die Mitarbeitenden beider Organisationen, was geplant ist? Oder stochern sie im Nebel der Unwissenheit?
Den Menschen können Unsicherheit aushalten, sogar über längere Zeiträume. Vorausgesetzt, sie wissen, wie lange sie ungefähr warten müssen und welche Schritte auf dem Weg liegen. Genau wie in der Kindheit das Warten auf das Christkind: quälend lang, aber erträglich, weil der Adventskalender die Tage transparent zählt und der Nikolaus zwischendurch die Wartezeit erträglicher machte.
Genau diese Transparenz über Vision, Warum, Prozess und Meilensteine müssen die Verantwortlichen geben. Es hilft ungemein, die Hintergründe für die eine oder andere Wartezeit offen zu legen. Etwa, dass eine Anhörung und Freigabe des Betriebsrates aussteht oder eine offizielle Gesellschafterversammlung zustimmen muss. Das sind keine lästigen Ausreden, sondern die Realität erwachsener Unternehmen. Und ehrlich kommuniziert schaffen sie Verständnis statt Frust.
Das war der Auftakt. Jetzt kommt die eigentliche Kür: dranbleiben. Mit regelmäßigen Updates geht die Reise durch die Unsicherheit weiter. Nicht nur zu den Meilensteinen gibt es ausreichend Anlass, Wort zu halten und über die versprochenen Ergebnisse zu informieren. Kleine Updates zwischendurch erhalten das Vertrauen. Es braucht dafür nicht immer Betriebsversammlungen oder pompöse Townhall-Meetings. Eine kurze E-Mail des jeweils zuständigen CEOs, idealerweise von beiden unterzeichnet, schafft das wohltuende Gefühl, informiert, beteiligt und wichtig zu sein.
Und wenn ein Meilenstein doch mal ins Wanken gerät? Wenn das erwartete Ergebnis noch nicht vorliegt, weil der Betriebsrat noch mit sich oder den Beratern ringt? Oder weil einfach noch keine gute Lösung gefunden wurde und eine weitere Woche nötig ist? Das kommt vor und ist selten ein Beinbruch. Im Gegenteil. Solange es direkt und offen kommuniziert wird, stärkt es sogar das Vertrauen. Denn die Wahrheit besitzt eine erstaunliche Superkraft. Sie macht glaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit ist die härteste Währung in jeder Transformation.
Hartnäckigkeit und Ausdauer – Erfolgreich zum Ziel 3
Das bedeutet nicht, dass Plan und Meilensteine bei der erstbesten Gelegenheit leichtfertig über Bord geworfen werden. Nur wirklich gewichtige Gründe, etwa signifikante externe Einflüsse, die niemand voraussehen konnte, sprechen im absoluten Ausnahmefall für eine Anpassung des Plans. Für echte Veränderung, für wahrhaftige Transformation zählen zwei Dinge. Ausdauer und Hartnäckigkeit.
Schwierigkeiten, Herausforderungen und Gegenwind sind für Transformationsprojekte wie das Amend in der Kirche. Sie werden kommen. Das ist keine Besonderheit ungeklärter CEO-Fragen oder von M&A Transaktionen. Oft wirkt es, als wäre eine schnelle Entscheidung, eine rasche Auflösung der Situation die passende Lösung. Kurzfristig mag das tatsächlich funktionieren. Mittel- und langfristig jedoch gehen Vision und Akquisitionsziele damit vor die Hunde.
Eine bewährte Faustformel von M&A Transaktionen besagt, dass nach dem Closing etwa 10.000 zusätzliche Entscheidungen in unsicherem Umfeld getroffen werden müssen. Entscheidungen, die weit außerhalb der gewohnten Standards und Prozesse liegen. Sie verschlingen zusätzliche Zeit und Energie, erzeugen eine gehörige Portion zusätzlicher Unsicherheit. Das ist die Ineffizienz, die M&A Transaktion zu Beginn immer im Gepäck haben.
All das ist Teil des erfolgreichen Weges hin zu den Zielen der Akquisition. Die Unsicherheit gehört dazu. Es braucht Hartnäckigkeit und Ausdauer, den Weg der Transformation bis zum Ende zu gehen. Ohne zwischendurch eine verlockend wirkende Abkürzung zu nehmen.
Zwei CEOs sind okay – Eine offene Flanke nicht
Mit zwei CEOs ins Closing und den Day One einer M&A Transaktion zu gehen, ist alles andere als gewöhnlich. Es ist nicht unmöglich und schon gar nicht unsinnig. Die eigentliche Frage lautet vielmehr: Warum.
Welche Vision, welche Ziele stehen dahinter? Warum ausgerechnet mit dieser Entscheidung warten? Wenn hierzu eine kristallklare Überzeugung besteht, dann ist es der richtige Weg. Mit der nötigen Führungsstärke, auch auf Seiten der Gesellschafter, lässt sich diese unsichere Phase souverän meistern.